“Genie und Wahnsinn”…sagt meine Reitbeteiligung immer, seien in der Hollywood-Linie eben mit drin…tja.
Zumindest den Wahnsinn stellte meine Püppi eindrucksvoll und ausdauernd am Anreise Freitag in Birkholz zum AQ zur Schau. Dass sie, wie die Honigbiene, nach der sie benannt wurde, auch an normalen Tagen um andere Pferde herumgravitiert, wie um einen Topf Honig, ist mir ja bekannt und ich gebe ihr immer gerne die Zeit, die sie braucht, um sich nicht mehr so einsam zwischen den 200 anderen Pferden auf dem Platz zu fühlen. Sie war noch nie ein “Automaten-Pferd”, aber ich hab sie seit sie klein ist und versuche immer einen Weg um ihren inneren Stress herum zu finden. So war auch der Plan, als ich am Freitag als eine der Ersten mit meinem Gespann einrollte und mein Ross auf ihr Paddock stellte. Zuerst war sie wie gewohnt, etwas unsicher und besorgt, aber brav. Ich sattelte und wollte sie nach der langen Fahrt bewegen. Das Fatale, irgendwann kam ihr Love-Interest von zuhause an, und über die weite Prärie der Paddock-Wiese hörte er ihre Rufe. Und Antwortete.
Die nächsten 4 Stunden war ich dann damit beschäftigt nicht vom Pferd zu fallen, niemand anderen umzureiten, kein anderes Pferd aus dem Weg zu treten und hinter meiner großen schwarzen Sonnenbrille nicht den Verstand zu verlieren, denn mein Pony hatte offensichtlich keinen mehr.
2 Stunden geritten, 2 Stunden geführt und es gab am Freitag kein, absolut kein, GAR KEIN Licht am Horizont des Gemütes meines Ponys. Ich war ziemlich verzweifelt (hinter meiner Sonnenbrille).
Sie hat zuletzt, einige aus der Halle werden sich vielleicht erinnern, in ihrem Wahn sogar eine völlig neue Gangart an der Hand erfunden. Sie konnte die Füsse nicht still halten, wollte scharren, springen, buddeln, toben und musste doch neben mir Schritt gehen, ohne mich umzurempeln. Der hohe Stresspegel liess sie völlig überschnappen und sie fing an, während sie vorwärts ging, die Beine bei jedem Schritt in die Luft zu werfen, wie ein kraulender Freischwimmer auf Speed, die absurdeste Parodie eines spanischen Schrittes. Und das nicht für kurze Zeit, nein, die GANZE Zeit.
Sie tat mir einfach nur leid. Ich tat mir auch etwas leid.
Und ich habe zum ersten Mal in 20 Jahren Pferdehaltung gedacht, wir fahren wieder nach hause. Versteht mich nicht falsch. Es ging nicht um Schleifen. Wir waren am Freitag zu einem Sicherheitsrisiko geworden. Mein Pferd war zwischen Kleben, neuer Umgebung, Stresspegel und inneren Geistern so zerrissen, dass ich es nicht in den Griff bekommen konnte. Das zu begreifen, bedeutete für mich einen herben persönlichen Rückschlag zu akzeptieren. Ich bin doch die, die mit ihrem Pony in die Wildnis geht. Aber, wo war das Pony nur hin, das mit mir in die Wildnis ging??
Völlig geknickt hörte ich (und auch alle anderen, es tut mir leid!) die ganze Nacht dem hysterischen Gewieher meiner Stute zu, die auf ihrem Paddock auf und ab rannte, und ich sagte am nächsten Morgen, ebenfalls zum allerersten mal in meinem Turnierleben, eine genannte Prüfung ab, weil ich uns nicht in der Lage sah, auch nur ansatzweise zu funktionieren, ohne Schaden zu nehmen, oder zu verursachen.
Warum das hier so ein Roman wird, ich habe unendlich viel gelernt an diesem Wochenende, und das wollte ich teilen.
Ich denke ja insgeheim immer, ich weiß schon so viel, ich kenne doch mein Pony, meine Wildnis-Partnerin, meine Turnier-Biene, meine Freizeit-Komplizin, mein “Fohlen”, das ich seit 11 Jahren an meiner Seite habe! Und dann kommt so ein Tag, an dem sich alle schwachen und schlechteren Charakter Eigenschaften auf eine Weise potenzieren, die meine kleine Biene zu einem gequälten, unglücklichen, aber leider auch gefährlichen und unkontrollierbaren Biest werden lassen. Und obwohl sie nie ein einfach zu reitendes Pferd war, obwohl ich ihre Launenhaftigkeit kenne, ihre Angstanfälle in Hängern und ihren Trennungsstress. Trotz der 11 Jahre Erfahrung mit ihr und den 20 Jahren mit meiner Tinkerstute davor, habe ich mich tatsächlich davon einschüchtern lassen. Ich habe tatsächlich gedacht, dem bin ich nicht gewachsen, und das kann ich nicht aushalten.
Aber wisst ihr was;
nach einer durchwachten Nacht, 2 grauen Haaren und einem Liter Kaffee von Nachbarin Kathleen bin ich dann doch wieder aufgestiegen. Ich habe mein immer noch rotierendes Häufchen Elend geputzt, liebgehabt und gehofft, sie schmeisst mich nicht ab. Mehr hab ich von uns nicht verlangt. Und das hat sie auch nicht. Jede Minute unter dem Sattel an diesem neuen Tag wurde sie etwas sicherer, und ihr liebevolles, fleissiges und zuverlässiges Selbst blitzte immer mehr durch das dicke Biest-Fell.
Am Samstag Abend war sie wieder mein geliebtes Pferd und am Sonntag war sie sogar wieder das beste Pferd der Welt. Wir konnten uns tatsächlich auch noch gut platzieren, aber ich hab bei all dem Stress dann auch einen Gehirnausfall erlitten und die Pattern gleich mehrfach vergessen. Allerdings mit dem erleichtertsten und glücklichsten Gesichtausdruck aller Zeiten, denn mein Pony war wieder mein Pony und die Patzer kamen alle von mir. So glücklich war ich noch nie über meine eigenen Fehler.
Das war eine ziemliche Odyssee für uns und ich wollte das gerne mit euch teilen. Die Meisten kennen uns immer nur vom sehen, die hübsche, brave Püppi und mich hinter der großen Sonnenbrille. Manchmal ist es nicht, wie es scheint.
Aber ich habe etwas ganz wichtiges gelernt, von dem ich eigentlich dachte, ich wüsste es längst.
Wir sind eben alle, wer wir sind. Jeder ist, wer er ist. Auch Püppi ist, wer sie ist. Mit allen Höhen und Tiefen.
Und wenn man zusammen sein möchte, darf man sich nicht verjagen lassen, wenn die Schatten mal aus der Tiefe kommen.
Auch nicht, wenn sie länger bleiben, als erwartet.
Ich dachte, ich wüsste das. Jetzt weiß ich es wieder.
Vielleicht hat jemand ähnliches zu erzählen, ganz bestimmt habt ihr alle eure Geschichten und ich freue mich über jede, die ihr erzählen mögt 🙂
Eure Vaile und das Teilzeit-Monster