Die sinnlosen Hohlräume zwischen uns.
Ich weiß nicht, wie es euch in eurem Leben, auf euren Wegen so ergeht, aber ich dachte gerade, dass mich mein Leben doch auch ganz schön rundgeschliffen hat. Vieles was ich als Mädchen nie wollte, oder zwischenmenschlich nie toleriert hätte, hat sich in den Jahren relativiert.
Ich akzeptiere die Meinungen von anderen, auch wenn sie nicht meiner Meinung entsprechen. Ich lasse viel mehr leben, nicht um selber am Leben gelassen zu werden sondern, weil ich lerne, dass Leben immer schön ist. Irgendwie. Egal welche Überzeugungen man für sich gefunden hat.
Früher dachte ich von mir als „rund mit all meinen Ecken“. Und natürlich ist meine Form noch immer dieselbe, aber ich merke, dass ich mich durch den strengen und gnadenlosen Beruf als Schauspielerin und Musikerin doch auch irgendwie etwas angepasst habe.
Nicht in meiner Kunst – aber in meinem Glauben an Bewegung und Berührung in der Welt.
Wenn mich die Jahre eines lehren, dann dass das Leben grundsätzlich unberührt und teilnahmslos an uns Menschen vorüberzieht. ES interessiert sich nicht dafür, was wir tun oder lassen.
Mit der Zeit (und die Zeit herself hat ja unendlich viel davon), verschwinden wir Individuen irgendwie. Es kommen ja immer Neue. Es ist nicht wichtig WER eine zündende Idee hat, nur DASS sie kommt. Es entstehen immer neue Hoffnungen und Pläne in immer neuen Menschen und manchmal setzt sich eine Idee durch und wird in die lange Reihe der überlieferten Erzählungen aufgenommen. Das ist gut. Das ist was unsere Geschichte am Ende ausmacht.
Eine Idee aus Millionen von Träumen, Hoffnungen und Taten, schlechte wie gute, eingereiht wie eine Perle in die Kette unserer Geschichte.
So lebe ich als Individuum in meinem Beruf mit voller Hingabe, Träumen und Hoffnungen, Taten und Versäumnissen – und bin ganz zufrieden mit meiner Zeit; große, einzigartige Ideen hin oder her.
Aber ich bin auch ein bisschen weniger hungrig, weniger sehnsüchtig geworden – und dafür bewusster im Jetzt.
Nicht mehr so sehr in der Zukunft.
Ich habe jetzt seit 37 Jahren die Zukunft vor Augen gehabt und komme langsam dahinter, dass der Horizont, zu dem ich immer wollte, irgendwie nie näher gekommen ist. Er ist immer noch genau da, wo ich ihn in der Ferne immer leuchten sehe.
Wenn ich nach vorne schaue und all die wunderbaren silbernen Streifen dort sehe, die mich locken und anziehen, merke ich langsam, dass sie nicht näher kommen, egal wie schnell ich laufe.
Als würde der Abstand zwischen mir und meinen Träumen nie geringer werden. Im selben Maße, wie ich ja auch nicht aufhöre zu träumen …
Ich fühle mich nicht verarscht vom Horizont – ich fange nur an zu begreifen, dass Vorwärtsgehen etwas ist, das nie aufhört.
Dass “Ankommen” nur stattfinden kann, wenn ich stehenbleibe und das Jetzt zu meinem permanenten Zuhause mache; meinem finalen Ziel … und – will ich das?
Will ich den Horizont aufgeben, um irgendwo anzukommen?
Dann denke ich an all die schönen Sprüche: „Der Weg ist das Ziel“ und so … und ja, das ist auch schön.
Im Jetzt sein, die Reise genießen. Den Fahrtwind im lächelnden Gesicht.
Aber immer wieder ertappe ich mich bei Gedanken in der Zukunft, nicht im Jetzt – ich tue etwas im Jetzt, um in der Zukunft irgendwas zu erreichen.
Das ist doch nicht „den Weg genießen“ und „im Hier und Jetzt“ sein.
Und klar, die Gesellschaft in der ich lebe, lebt es mir vor. Verlangt es geradezu. Altersvorsorge, Versicherung für den Fall der Fälle … etc., etc. … Zukunft, Zukunft, Zukunft …
Ich möchte gerne im Hier und Jetzt sein.
Aber ich möchte auch keine Angst vor der nächsten Kurve haben.
Deswegen blicke ich dann doch angestrengt nach vorne und versuche abzuschätzen, wie weit der Weg zum Horizont noch ist.
Und während ich das tue, merke ich, passe ich mich in vielen Situationen an.
Ich passe mich an meine Mitmenschen und Kollegen an.
Ich passe mich an die Bedürfnisse meiner Liebsten an und versuche der beste Mensch für sie zu sein, der ich sein kann.
Ich passe mich an meinen Beruf an, dem ewigen Spiel und dem ewigen Wettbewerb um Jobs.
Ich passe mich an die Regeln des Musik Business an und habe längst aufgehört zu lamentieren, dass Kunst keinen Regeln folgt. Ähm. Das wäre ja auch irgendwie eine Regel. Ich weiß langsam, dass es eben doch einen Unterschied macht, ob man etwas zu sagen hat, oder ob man nur etwas sagt, um Zustimmung zu bekommen.
Ich weiß auch, dass es einen großen Unterschied macht, ob ich eine Passion habe, mit der ich Geld verdienen kann, oder ob ich erst Geld brauche, um eine Passion haben (und ausleben) zu können.
Für uns Künstler wohl die ewige, wichtige und existentielle Frage.
Ich habe eine gute Mitte gefunden, die Dinge zu tun, die mir am Herzen liegen und trotzdem in meinem Output so nah an den Wettbewerbsregeln zu spielen, dass ich auch davon leben kann.
Aber all das Denken und Winden, das sich Anpassen und Umformen, das Grübeln und Verstehen, hat Spuren hinterlassen.
Ich bin jetzt runder.
Ich fühle mich trotzdem noch ganz wie ich, aber ich sehe mich an und denke, ich bin ein flacherer, runderer Kieselstein geworden, als ich vor 20 Jahren einmal war.
Ohne Wertung.
Vielleicht ist es das, was passiert, wenn man ewig die Nase begeistert in den Wind hält und die Geschwindigkeit geniest.
Der Wind ist wunderbar; aber er reißt an einem und irgendwann schleift er einen wohl auch ein bisschen rund.
Nur; wenn das allen so geht …
Wenn wir alle mal tausend Ecken und Flächen hatten, wie Flusskiesel, und wir alle werden runder mit der Zeit und schleifen unsere Kanten langsam ab …
Was bedeutet das dann für unser Miteinander?
Wenn man eine beliebige Fläche mit flachen, runden Flusskieseln auslegt, ganz eng aneinander, berühren sich die runden Steine nur auf einer winzigen Fläche. Und dazwischen entstehen große Zwischenräume. Ich frage mich manchmal, ob wir mit Ecken und Kanten nicht besser zueinander passen würden, ob wir nicht enger beisammen liegen könnten. Sicher einige Ecken würden gar nicht passen, aber dafür wären vielleicht viele Nischen und Flächen direkt für einander geschaffen und viele Zwischenräume würden verschwinden. So rund, wie wir alle sind, haben wir kaum Kontakt. Und je runder wir werden, desto kleiner wird die Fläche mit der wir uns berühren können.
Vielleicht sehen wir uns deshalb immer weniger, als wer wir sind.
Und vielleicht fallen deswegen so viele ins Bodenlose.
Durch die Lücken zwischen uns Steinen.